Das Chronographenkaliber “El Primero” von Zenith – welcher Liebhaber mechanischer Uhren kennt dieses legendäre Chronographenkaliber nicht?!
Seit nunmehr fast 5 Jahrzehnten wird das intern auch EP 69 genannte Kaliber fast ununterbrochen gefertigt und man kann wohl zurecht sagen, dass es die Uhrenmarke Zenith heute nur mehr deshalb noch gibt, weil Charles Vermont sich Ende der 1970er Jahre still geweigert hat, alle Konstruktionsunterlagen und Werkzeuge sowie fertigen El Primero Kaliber zu vernichten.
Er tat sogar noch viel mehr: er versteckte die Konstruktionsunterlagen, Werkzeuge und restlichen Kaliber im Dachboden des Zenith-Manufakturgebäudes, gänzlich entgegen der Weisung der damals U.S. amerikanischen Besitzer von Zenith. Es war die Zeit der Quarzkrise und man ging davon aus, das niemand mehr mechanische Uhrwerke brauchen würde. Charles Vermont rettete mit der Konservierung des El Primero also auch Zenith, denn einige Jahre später suchte Pierre-Alain Blum, der Besitzer von Ebel, nach einem guten Chronographenwerk, das er im El Primero fand.
Wenig später orderte auch Rolex das El Primero als Rolex Kaliber 4030 für seine erste automatische Version des ebenfalls legendären Cosmograph Daytona, der so den Beinamen „Zenith-Daytona“ bekam.
Das El Primero durchlebte also eine wechselhafte Geschichte, die u.a. hier (Link) in meinem Blog nachzulesen ist.
Legenden und Klassiker sind zweifelsohne faszinierend, aber sie sind auch immer mehr der Vergangenheit zugewandt denn der Zukunft. Doch irgendwann muss sich auch eine Uhrenmarke wie Zenith, im vollen Bewusstsein der Tradition, der Zukunft zuwenden. Und exakt dieser historische Schritt, nicht mehr oder weniger, ist auf der Baselworld des Jahres 2017 präsentiert worden: das El Primero 21.
Die Kaliberbezeichnung EP 21 weist klar auf das 21. Jahrhundert hin. Aber nur all zu leicht kann man sowohl beim neuen Kaliber als auch bei der neuen Uhr, die auf den Namen „Defy EP 21“ hört, den wesentlichen Schritt in Richtung Zukunft übersehen.
Das neue Design der Defy EP 21, die es sowohl mit offenem als auch geschlossenem Blatt gibt, fällt sofort auf.
Manch einer der Zenith-Aficionados erkennt gerade bei den Defy EP 21 mit offenem Blatt zu sehr die Handschrift von Jean-Claude Biver. Zu ähnlich soll die Defy EP 21 der Hublot Big Bang Unico und den TAG Heuer Chronographen T-01 und 02 sein. Bei allen drei Marken spielt Jean-Claude Biver zweifelsohne eine entscheidende Rolle.
Doch sind sich diese Uhren der drei verschiedenen Marken wirklich zu ähnlich? Oder ist es einfach nur die Idee, der Träger eines mechanischen Chronographen möge möglichst viel von der faszinierenden Technik und der Funktion des Mechanismus erleben können?! Auch bei angelegter Uhr. Das geht selbstredend nur mit einem skelettierten Blatt.
Für die puristischen Aficionados gibt es die Zenith Defy EP 21 und die TAG Heuer Chronographen auch mit geschlossenem Blatt und auch Hublot bietet solche Uhren an. Mehr verkauft werden aber eindeutig die Uhren mit den offenen Blättern…!
Doch zurück zum EP 21. Beim Blick auf die technischen Daten fallen sofort zwei weitere neue Merkmale auf. Zum einen handelt es sich um einen Chronographen, mit dem auch 1/100-Sekunden gemessen werden können. O.k., das gab es bei der Schwester TAG Heuer auch schon mal.
Aber nicht so wie bei der Defy EP 21, denn bei dieser existieren quasi zwei vollkommen getrennt Uhrwerke für die Zeitanzeige und für den Chronographen. Beide verfügen über je ein Federhaus, über je ein Räderwerk und über je eine Hemmung (5 Hz für die Zeitanzeige, 50 Hz für den Chronographen).
Beide Mechanismen sind nicht miteinander verbunden, d.h. es existieren auch keinerlei Kupplungen, die bei herkömmlichen Chronographen die Verbindung zwischen dem „Gehwerk“ und dem Chronographen-Mechanismus herstellen.
Nutzt man beim EP 21 den Chronographen, so geschieht das vollkommen unabhängig vom Uhrwerk der Zeitanzeige. Oder anders ausgedrückt: die Präzision der Zeitanzeige wird nicht durch den Chronographen nachteilig beeinflusst.
Das folgende Video zeigt den laufenden Chrono in einer Totalen.
In der Nahaufnahme hier die 5 Hz Hemmung des Gehwerks.
Das folgende Video zeigt, wie schnell die 50 Hz Hemmung (im Bild oben) im Gegensatz zur 5 Hz Hemmung schwingt. Es sieht aus, als würde sich die Unruh nicht bewegen. In der Realität schwingt es derart schnell, dass das Auge dies nicht wahrnimmt.
Faszinierend anzuschauen ist, wie der große Zeiger des Chronographen einmal pro Sekunde das Zifferblatt umkreist.
Ebenfalls vollkommen neu gestaltet und auch patentiert wurden die Nullstellhebel und –herzen des Chronographen.
Doch auch all diese technischen Finessen stellen noch nicht den wesentlichen und zukunftsweisenden Fortschritt dieser Uhr bzw. dieses Kalibers für Zenith dar.
Auf dem obigen Bild fällt dem kundigen Betrachter ein Detail sofort auf: die Spirale!
Hier die Spirale der 50 Hz Hemmung des Chronographen.
Was ist das den für eine Spirale? Sind diese üblicherweise aus Metall, seltener aus Silizium, immer aber flach und eng gewunden so ist diese hier im Querschnitt rund und wesentlich weniger eng gewunden. Dem aufmerksamen Betrachter fällt auf, dass es sich um ein schwarzes Material handelt.
Die Erklärung ist ebenso einfach wie faszinierend: es ist Kohlenstoff oder im Englischen „Carbon“ (nicht zu verwechseln mit dem Verbundwerkstoff Carbon!).
Kohlenstoff als Material für eine Uhren-Spirale?! Das klingt abwegig, ist aber genial.
Reiner Kohlenstoff kommt in verschiedenen Formen vor: z.B. als Graphit in Bleistiftminen, als Diamant und als Nanotubes.
So fragil Graphit ist, so legendär hart ist der Diamant, der sich lediglich in seiner molekularen Zusammensetzung vom Graphit unterschiedet.
Im Falle der Nanotubes sind die Kohlenstoff-Atome in Sechsecken angeordnet. Viele dieser Sechsecke bilden eine geschlossene Röhre. Diese Carbon Nanotubes sind enorm stabile Strukturen.
Im Falle der Spiralen des neuen EP 21 von Zenith macht man sich all die positiven Eigenschaften des Kohlenstoffs zu nutze. Kohlenstoff ist nicht magnetisierbar und temperaturunempfindlich. Zudem ist Kohlenstoff sehr leicht und so sind es auch die Spiralen, so dass Schwerkrafteinflüsse (u.a. der Grund, warum das Tourbillon entwickelt worden ist) hier kaum eine Rolle spielen. Zudem kann eine Kohlenstoffspirale mit sehr wenig Energieaufwand zum Schwingen angeregt werden.
Zweifelsohne darf man hier von einem uhrmacherischen Meilenstein sprechen. Magnetfelder bis zu 30.000 Gauss können die Ganggenauigkeit der Uhr ebenso wenig beeinflussen wie Temperaturschwankungen und Schwerkrafteinflüsse. Klassische Nivarox-Unruhspiralen sind hier klar im Nachteil.
Die Carbon Nanotubes sind kleine Hohlkörper aus reinem Kohlenstoff mit weniger als 100 Nanometer (1/10.000 Millimeter)Durchmesser. Der Elastizitätsmodul der Tubes ist bis zu fünfmal, die Zugfestigkeit mehr als fünfzehnmal höher als die von Stahl. Kohlenstoff weist Dichte auf, die bei 2 g/cm³ liegt (im Vergleich: Stahl ca. 7,85 g/cm³), was den Einfluss der Schwerkraft auf den Gang der Uhr maximal reduziert.
Daher eignet sich Carbon Nano Tubes Matrix Composite bestens für den Einsatz im Uhrenbau. Die winzigen Kohlenstoffnanoröhrchen wachsen auf einem mit einer dünnen Eisenschicht beschichteten Silizium-Wafer. Die Zwischenräume zwischen den Tubes werden mit einer Carbon Composite Matrix gefüllt. Ankerrad und Anker sind, wie beim El Primero 69 auch, aus leichtem, amagnetischem Silizium gefertigt.
Das Kaliber EP 21 ist mit seinen 32 mm im Durchmesser und 7,9 mm an Höhe sehr kompakt. Es durchläuft eine hauseigene Zenith Qualitätsprüfung, ein COSC-Gangzertifikat für das Uhrwerk, ein Chronometerzertifikat des Observatoriums Besançon (nach ISO-3159 für die gesamte Uhr) und ein Attest des Observatoriums Besançon sowie des Zeit- und Frequenz-Labors der Universität Besançon im Namen des Internationalen Büros für Maße und Gewichte (BIPM) bezogen auf die Resistenz gegen Magnetfelder und Temperaturschwankungen.
Das Blatt ist sowohl in der skelettierten als auch in der geschlossenen Version problemlos ablesbar.
Die 1/100 Sekunden zeigt der große, zentrale Sekundenzähler an. Man beachte die perfekten Zeigerlängen der Uhr! Die Stoppsekunden werden bei 6 Uhr angezeigt.
Die Stopp-Minuten sind bei 3 Uhr abzulesen.
Die Funktionsanzeige der Uhr ist in Form einer kleinen, stets mitlaufenden kleinen Sekunde ausgeführt.
Bei 12 Uhr befindet sich die Gangreserveanzeige des Chronographen.
Chronograph und Uhrwerk der Zeitanzeige haben, wie bereits weiter oben ausgeführt, zwei getrennte Federhäuser. Das Federhaus der Zeitanzeige wird über den automatischen Aufzug mit Energie versorgt. Alternativ kann es per Aufzugskrone aufgezogen werden.
Das Federhaus des Chronographen wird ausschließlich über die Krone aufgezogen. 25 Umdrehungen der Krone reichen aus, damit das Federhaus (über ein ausgeklügeltes Getriebe) voll aufgezogen ist. Der automatische Aufzug würde wesentlich länger benötigen. Daher trennte man das Chrono-Federhaus vom automatischen Aufzug, weil der Träger der Uhr dann eindeutig weiß, wie der Chronograph seine Energie erhält. Will man ihn nutzen, so muss man ihn vorher aufziehen. Die Energie reicht für 55 Minuten.
Selbstverständlich kann der Chrono auch während des Betriebs aufgezogen werden.
Interessant ist auch, dass das EP 21 aus lediglich 203 Komponenten montiert wird. Das sind 73 Einzelteile weniger als beim klassischen El Primero. Höhere technologische Komplexität bei sinkender Gesamtzahl an Werkteilen, die neuen Werkstoffe machen dies möglich. Auch Patek Philippe folgt mit seinem neuen Advanced Research Projekt, genauer mit der Aquanaut Travel Time Ref. 5650G genau diesem Prinzip, wenngleich es bei der PP nur einen Teil des Mechanismus betrifft und nicht wie beim EP 21 das gesamte Kaliber.
Es ist leicht zu erkennen, dass mit der Carbon Nanotube-Matrix ein vollkommen neuer Werkstoff in den Bau mechanischer Uhren Einzug hält. Ein Werkstoff, der vollkommen neue Möglichkeiten eröffnet. Und ich bin mir sicher, dass Zenith diese neuen Möglichkeiten künftig intensiv und maximal ausloten wird.
Und eben dieser neue Werkstoff der beiden Spiralen des EP 21 ist der bahnbrechende technologische Fortschritt, den man beim Blick auf die anderen technischen Lösungen der Zenith Defy EP 21 leicht übersehen kann. Er ist wesentlicher Teil der Zukunft von Zenith, denn damit wird das legendäre El Primero fit für das 21. Jahrhundert gemacht.
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