Der Antikythera Mechanismus


In diesem Blog geht es ja meist um schöne mechanische Uhren sowie um die Marken und Menschen, die diese Uhren hervorbringen. Dafür begeistere ich mich.

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Diesen Artikel widme ich einem über 2000 Jahre alten technischen Meisterwerk, das nichts mit einer Uhr zu tun hat, mich aber dennoch begeistert. Vor allem wenn man bedenkt, wann dieser Mechanismus entwickelt worden ist und was er kann.

Der Antikythera-Mechanismus

Im Jahr 1901 tauchten einige Schwammtaucher vor der kleinen griechischen Insel Antikythera, nordwestlich von Kreta.

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Einer der Schwammtaucher entdeckte unter Wasser einen Mann, der mit dem Finger auf ihn zeigte. So zumindest erzählte er es den anderen Schwammtauchern, nachdem er wieder an der Wasseroberfläche angelangt war. Gut möglich, dass die anderen Taucher im ersten Moment glaubten, dass ihr Kollege an der Taucherkrankheit leidet. Aber als sie ebenfalls hinabtauchten sahen sie eine Statue, die tatsächlich mit dem Finger in eine Richtung zeigt. Ohne Zweifel war sie ein Teil eines bis dahin nicht entdeckten Schiffswracks.

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(Quelle: Antikenmuseum Basel / FAZ)

Zurück an Land informierten sie die Behörden, die wiederum ein Museum in Athen von dem Fund in Kenntnis setzten. Im darauffolgenden Jahr 1902 wurde dann eine Expedition zur Bergung der Schätze durchgeführt.

Man konzentrierte sich auf die großen Stücke wie Statuen, Amphoren usw. . All diese Artefakte landeten in einem Athener Museum.

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Jahrhundertelang war die Piraterie für die Bewohner der griechischen Insel Aegilia, die heute Antikythera heißt,  ein einträgliches Geschäft gewesen. Erst 67 vor Christus wurde es den Römern zu viel und Feldherr Pompejus Magnus säuberte die Inselwelt rund um Antikythera von den Freibeutern .

Für die Besatzung eines römischen Frachters, der etwa um 87 vor Christus , vermutlich aus Rhodos kommend, an Antikythera vorbeisegelte, kam dieses Eingreifen allerdings zu spät. Was damals genau passierte, konnten die Seeleute nicht mehr weitergeben – Tatsache ist aber, dass der Frachter versenkt worden ist. Und eben dieses Wrack wurde fast 2000 Jahre später in etwa 40 Metern Tiefe zufällig von besagtem Schwammtaucher entdeckt. Wie bei der Bergung festgestellt wurde enthielt es eine ganze Reihe antiker Statuen und anderer Kunstschätze. Und, ganz nebenbei, einen stark korrodierten Bronze-Brocken, der prompt im Museum in mehrere Teile zerbrach.

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Zwei Jahre nach der Bergung wurden dieser Brocken und seine Einzelteile vorsichtig gesäubert und man entdeckte Zahnräder.

Nun kannten die Griechen das Prinzip der Übertragung von Drehbewegungen durch Zahnräder bereits seit dem 4. Jahrhundert vor Christus. Doch das waren eher grobe Konstruktionen, wie sie vielleicht in Mühlen zum Einsatz kamen. Der Antikythera-Mechanismus dagegen hatte – nach seinem plattgedrückten Rest zu schließen – gerade einmal die Abmessungen eines großen Buches. Und in ihm griffen metallische Zähne von lediglich anderthalb Millimeter Länge ineinander.

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Zu welchem Zwecke allerdings, das war erst mehr als 100 Jahre später, im September 2005, ungefähr klar. Zwischenzeitlich hatte auch der berühmte Tauchpionier Jacques-Yves Cousteau im Jahr 1976 am Wrack getaucht und weitere Artefakte wie Münzen geborgen, die eine genaue Datierung zuließen und dann auch in das Athener Museum gelangten.

Bereits im Jahr 1905 hatte man erkannt, dass es sich um ein astronomisches Rechengerät handeln muss. Und ein halbes Jahrhundert später analysierte der britische Wissenschaftshistoriker Derek de Solla Price die ersten Röntgenaufnahmen von einigen der über zwanzig Fragmente, in die der Klumpen inzwischen zerfallen war.

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Er erkannte, dass das Räderwerk einst in einem flachen Holzkasten montiert war, von einer seitlichen Kurbel in Bewegung gesetzt wurde und mehrere Zeiger auf beiden Seiten des Apparates ansteuerte.

Auf der Vorderseite fand Price eine kreisförmige doppelte Skala, auf der Reste griechischer Namen von Monaten und Tierkreiszeichen zu erkennen waren sowie zwei Zeiger, die offenbar das Datum und die Position des Mondes im Jahreslauf anzeigten. Aus der Anzahl der Zähne einiger Zahnräder leitete Price ab, dass der Erbauer des Mechanismus offenbar die Beobachtung der Babylonier in Mechanik umgesetzt hatte. Diese Erkenntnisse besagten, dass 19 Jahre fast genau 235 sogenannten synodischen Mondumläufen entsprechen, also Zeitspannen von einem Vollmond zum nächsten. Astronomen nennen dies den Metonischen Zyklus.

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Nun läuft der Mond aber nicht gleichförmig über den Himmel. Die alten Griechen konnten sich zwar nicht erklären, warum das so ist, doch beobachten konnten sie es. Die Position des Mondes vor den Tierkreiszeichen im Jahreslauf hätte der Erbauer des Antikythera-Mechanismus aber unmöglich korrekt angeben können, wenn sein Getriebe nur aus verschieden großen Zahnrädern auf festen Achsen bestanden hätte. Daher vermutete Price, dass es in dem Apparat auch Zahnräder geben müsse, deren Achsen auf anderen Rädern sitzen, sogenannte Epizykelgetriebe.

Besonders bemerkenswert ist also, dass der Mechanismus sogar eine Anomalie in den Mondphasen berücksichtigt, die aus der elliptischen Bahn des Mondes um die Erde herrührt. Dazu nutzte der Erfinder einen Trick: ein aus dem einen Zahnrad herausragender Stift treibt ein leicht versetzt darunter liegendes zweites Zahnrad über eine darin angelegte radiale Nut an – die mechanische Umsetzung einer Sinusfunktion.

Bereits Apollonios von Perge  hatte sich im 2. Jahrhundert vor Christus die beobachtete Bewegung der Gestirne durch kosmische Epizyklen erklärt. Epizyklen sind Kreisbahnen, deren Zentren auf anderen Kreisbahnen verlaufen. Diese Theorie war die allgemein anerkannte, bis Keplers Ellipsen 1900 Jahre später eine bessere lieferten. Sollte der Erfinder des Antikythera-Apparates also die Himmelstheorie des Apollonios in bronzene Feinmechanik übertragen haben?

Das Vorhandensein eines Epizykelgetriebes für die Anzeige der Mondphasen konnte Michael Wright nachweisen, ein Kurator am Londoner Science Museum, der 1989 die ersten tomographischen Röntgenaufnahmen der Fragmente auswertete.

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Außerdem fand Wright Näheres über die obere der beiden Anzeigen auf der Rückseite des Apparates heraus: Ihre Skala war nicht etwa konzentrisch, wie Price geglaubt hatte, sondern spiralförmig aufgewickelt. Wright vermutete auch, was dort angezeigt wurde: die Abfolge der 235 Monate des Metonischen-Zyklus. Aber der genaue Funktionsumfang des Gerätes blieb unklar. Auf der vorderen Anzeige war noch Platz für heute verlorene Zeiger und Zahnräder zum Stand der Sonne und der fünf in der Antike bekannten Planeten. War der Apparat demnach dazu da, die Position der Gestirne zu einem Zeitpunkt im Metonischen-Zyklus anzuzeigen? Handelte es sich also um eine Art Taschen-Planetarium?

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Wozu der Mechanismus tatsächlich imstande war, wurde erst mit den Analysen Tony Freeths deutlich. Sein Team konnte zuvor unbekannte Fragmente untersuchen, die inzwischen im Magazin des Athener Museums aufgetaucht waren, und mit einer Ausnahme die Funktion aller 30 erhaltenen Zahnräder klären. Danach bestand kein Zweifel: Der Schöpfer des Apparates muss ein Genie gewesen sein.
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Denn es bestätigte sich nicht nur, dass tatsächlich ein Epizyklen-Mechanismus den Mondzeiger periodisch schneller und langsamer antrieb. Es fand sich dabei auch eine Vorrichtung, die diese Änderung noch einmal leicht variierte. Damit erfasste der Apparat nicht nur die Folgen der Elliptizität der Mondbahn, sondern auch der Tatsache, dass auch die Lage dieser Ellipse sich langsam verschiebt.

Aber es kam noch besser. Dank einer Spezialkamera, die das Freeth-Team ebenfalls nach Athen geschafft hatte, sowie einer Software zur Oberflächenmodellierung vervielfachte sich die lesbare Menge des eingravierten griechischen Textes. Teile davon gehörten offenbar zu einer Gebrauchsanweisung auf der Vorderseite des Apparates, was belegt, dass dies kein Instrument für Spezialisten war, sondern ein Hightech-Produkt für wohlhabende astronomische Laien.

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An einer Stelle des neuen Textes auf der Rückseite fand sich zum Beispiel das Wort „heliki“, der Dativ von „helix“ (Spirale), und weiter „tmemata 235“ (235 Einteilungen). Das bestätigte Wrights Interpretation einer aufgewickelten Skala für die 235 Monate des Meton-Zyklus. Ein kleines Ziffernblatt daneben zeigte zudem an, welche der vier panhellenischen Wettkämpfe – darunter auch die Olympischen Spiele – gerade anstand, wenn der aktuelle Monat eingestellt war.

Fast noch wichtiger aber war die Entdeckung und Entzifferung von Zeichengruppen auf der unteren, ebenfalls spiralförmigen Skala: Sie verteilen sich darauf in einem Muster, das gut zu einer Abfolge von Sonnen- und Mondfinsternissen passt, die nach 223 lunaren Monaten annähernd wiederkehrt, dem sogenannten Saros-Zyklus. Dies war also kein bloßes Planetarium, sondern ein analoger Computer zur Vorhersage von Finsternissen: Man setzte per Kurbeldrehung den Zeiger der metonischen Skala auf den aktuellen Monat, drehte dann weiter, bis der Zeiger der Saros-Skala auf eine Finsternis zeigte. Die Inschrift dort verriet einem Art und Stunde dieses Ereignisses. Nun drehte man weiter, bis auf der Vorderseite Sonnen- und Mondzeiger zur Deckung kamen oder in entgegengesetzte Richtungen zeigten, und las an dem Datumszeiger den Tag der Finsternis ab.

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Doch es bleiben Fragen: etwa die nach Herkunft und Alter des Wunderwerks. Die verwendeten Monatsnamen deuteten auf Korinth oder eine ihrer Kolonien, darunter Syrakus, die Heimat des großen Archimedes (um 287 bis 212 v. Chr.). Aufgrund der Buchstabenform hielt man lange ein Baujahr zwischen 100 und 150 v. Chr. für wahrscheinlich. Doch 2014 zeigten zwei amerikanische Forscher, dass die Finsternisvorhersage am besten für eine Saros-Periode funktionierte, die im Jahr 205 v. Chr. begann. Tony Freeth kam wenig später zu einem ähnlichen Ergebnis. Das rückt den Apparat in die Lebenszeit des Apollonios von Perge und provoziert die Frage, ob die Epizyklentheorie wirklich eine theoretische Idee war oder eher eine, die der mechanischen Nachahmung des Himmelsgeschehens entsprang. Und es rückt ihn näher zu Archimedes, der sich antiken Quellen zufolge auch mit astronomischen Mechaniken befasst hat. Archimedes.gif

Doch außer vagen Erwähnungen ist von Archimedes’ Geräten ebenso wenig erhalten wie von denen anderer altgriechischer Ingenieure. Das Antikythera-Gerät ist überhaupt das einzige Stück antiker Zahnradmechanik, das auf uns gekommen ist. Umso verblüffender, was es uns über den Stand der antiken griechischen Technologie verrät. Zwar gibt es Belege für – viel einfachere – mechanische Realisationen etwa des Meton-Zyklus im spätantiken Byzanz und im islamischen Mittelalter. Doch Geräte, die es an Komplexität und Präzision mit dem Antikythera-Mechanismus aufnehmen können, sollten erst im spätmittelalterlichen Europa wieder gebaut werden. „Hätte dieses Exemplar nicht überlebt“, schrieb Tony Freeth, „würden die Historiker denken, es hätte damals gar nicht existieren können.“ Aber wie konnte eine solche Technik in Vergessenheit geraten?

Die Frage danach, warum diese Erkenntnisse nicht weitergegeben worden sind, hat eine mögliche Antwort. Demnach zeigt uns der Antikythera-Mechanismus, dass technischer Fortschritt nichts ist, was, einmal angestoßen, notwendig immer weiterläuft, sondern etwas, das ganz bestimmte gesellschaftliche und ökonomische Randbedingungen erfordert. Was dann auch bedeuten würde, dass er wieder enden kann.

Die Wissenschaftler glauben dass der komplette Mechanismus wie im folgenden Bild dargestellt konstruiert gewesen ist.

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Und so sah er in der Außenansicht aus (veranschaulicht an einem Plexiglas-Modell, das Original war aus Holz und Bronze).

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Doch was hat das alles mit Uhren zu tun. Nichts direkt, aber indirekt. Die Uhrenmarke Hublot hat bei der Erforschung der Funktionen des Mechanismus aktiv mitgewirkt und auch Tauchexpeditionen zum Wrack vor Antikythera unterstützt. Denn es sind noch nicht alle Teile des Mechanismus geborgen worden.

Zuerst sponsorte Hublot die Entwicklung eines Tauchanzugs, mit dem die Archäologen zum Wrack hinab tauchen konnten.

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Da aber noch ein zweites Wrack in über 100 Metern Tiefe vermutet wird reichte dieser Tauchanzug nicht aus.

Daher arbeitet man aktuell in der Uhrenmanufaktur an Tauchrobotern, welche die Archäologen unter Wasser unterstützen sollen. Man nennt diese kleinen Helfer „Bubblots“

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Ja, Sie haben richtig gelesen. Eine Uhrenmarke arbeitet an Tauchrobotern. Aber Hublot ist bekannt für ungewöhnliche  Ideen. Man macht weit mehr als nur Uhren. Und die Entwicklung der „Bubblots“ ist sehr aufwändig.

Die Ideen des Antikythera-Mechanismus hat Hublot in einer Armbanduhr aufgegriffen.

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Andere Marken würden so eine Uhr teuer verkaufen. Nicht so Hublot. Ganze vier Exemplare gibt es von dieser Uhr. Zwei Uhren hat Hublot verschenkt, je eine an Museen in Athen und Paris. Ein weiteres Exemplar geht in das Hublot-Museum. Und die vierte bleibt für die Weiterntwicklung in den Ateliers erhalten.

Es ist schon erstaunlich, was die Menschen bereits vor über 2000 Jahren wussten und in Mechaniken wie dem Antikythera-Mechanismus umsetzen konnten. Und genauso erstaunlich ist es, wie schnell derartiges Wissen wieder verloren gehen kann. Nur durch eine Kette an Zufällen wurde der Antikythera-Mechanismus wieder entdeckt und entschlüsselt. Und das fasziniert mich.

 

 

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