Parmigiani Fleurier – Senfine


Stellen Sie sich eine unerschöpfliche Gangreserve vor, eine mechanische Uhr, die nie stillsteht. Stellen Sie sich eine Uhr vor, die nur wenige Male pro Jahr anstatt mehrmals pro Woche aufgezogen werden muss, eine Uhr, deren Autonomie in Monaten anstatt in Stunden gezählt wird. Stellen Sie sich schließlich eine revolutionäre Erfindung vor, die bisherige Prinzipien der Uhrmacherei über den Haufen wirft und eine Größenordnung, die als unantastbar galt, für immer verändert. Dann haben Sie eine Ahnung des Projekts, das Parmigiani Fleurier zu seinem 20-jährigen Jubiläum am SIHH 2016 präsentiert: SENFINE.

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Dieses Uhrwerk, dessen Name dem Esperanto entlehnt ist und „ewig“ heißt, verfügt über eine herkömmliche Energiequelle, zeichnet sich aber durch ein Regulierorgan mit einer noch nie da gewesenen Autonomie aus. Parmigiani Fleurier gewährt Einblick in seine laufenden Forschungsarbeiten und stellt das Senfine-Projekt vor: von der spektakulären Entstehung des Senfine-Gangreglers bis hin zu den noch anstehenden Etappen, bevor die revolutionäre Erfindung das Innenleben von Uhren bestimmen wird.

AUF DEM WEG ZU EINER GROSSEN GANGRESERVE

Die Suche nach einer außerordentlichen Gangreserve ist in der Uhrmacherei an sich nicht neu, ging aber bis heute stets in dieselbe Richtung: die Erhöhung der Energieversorgung, das heißt die Vergrößerung des Federhauses oder dessen Anzahl. Dies kommt einem Fahrzeug gleich, bei dem man den Treibstofftank verdoppelt, um doppelt so lang fahren zu können.

Projekte, die sich mit dem Energieverbrauch des Uhrwerks befassen, führten bisher zu keinen verwendbaren Ergebnissen, weil der Verbrauch des herkömmlichen Gangreglers in mechanischen Uhren nicht reduziert werden kann. Hauptverantwortlich für den Energieverlust in einem Uhrwerk ist die Reibung. Aufgrund der Reibung verliert zuerst der Oszillator bei jeder Halbschwingung an Energie, dann die Hemmung bei jedem Kontakt mit der Unruh und schließlich der Anker bei jedem Impuls, den er durch die Zähne des Hemmungsrades erhält. Ein zweiter wichtiger Faktor für den Energieverbrauch stellen die Stöße dar, die der normalen Funktionsweise der Hemmung zuzuschreiben sind. Das Zusammenspiel des Dreiecks Anker, Hemmungsrad und Unruh belasten die Gangreserve stark.

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Die Reduzierung der Reibung und der Stöße ist bei einem klassischen mechanischen Gangregler unmöglich – außer man überdenkt dessen Konstruktion von Grund auf neu und stellt dabei unerschütterliche Prinzipien der Uhrmacherei in Frage, um ein komplett neues Regulierorgan zu schaffen. Die Erfindung, die dem Senfine-Gangregler zugrunde liegt, besteht in der Beseitigung aller energieverbrauchenden Faktoren eines herkömmlichen Regulierorgans zugunsten eines völlig reibungslosen elastischen Systems. Nicht betroffen von der Innovation ist der Antrieb des Uhrwerks, das heißt das Federhaus, was in einem Fahrzeug den Treibstofftank darstellt. Vielmehr betrifft sie die heiklen Faktoren des Energieverbrauchs in einer Uhr, die bisher als unveränderbar, ja gar unantastbar galten.

DIE ERFINDUNG UND DIE ENTSTEHUNG DES PROJEKTS

Die Idee und die Erfindung, die dem Senfine-Uhrwerk zugrunde liegen, sind Pierre Genequand, einem Genfer Ingenieur und ehemaligen Mitarbeiter des Schweizer Forschungszentrums für Elektronik und Mikrotechnologie (CSEM), zu verdanken. Der brillante Wissenschaftler hatte sich auf reibungslose elastische Gelenke in der Raumfahrttechnik spezialisiert. Nachdem Pierre Genequand viele Jahre seiner Karriere diesem Bereich gewidmet hatte, war er davon überzeugt, dass diese Technologie ein großes Potenzial für die Uhrmacherei darstellte. Als er 2004 pensioniert wurde, traf er die Entscheidung, diese Idee in seiner freien Zeit weiterzuentwickeln. In einer Ecke seiner Küche nahm sie als Holzmodell im Maßstab 20:1 mit improvisierten Fadenspulen und Gegengewichten erste Formen an. Danach präsentierte er das Modell seinem ehemaligen Arbeitgeber, der sich auf die Suche nach einer Uhrenmanufaktur machte, die in der Lage war, seine Idee umzusetzen.

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Nebst seinem Ruf als brillanter Wissenschaftler liegt die Stärke von Pierre Genequand paradoxerweise darin, dass er kein Uhrmacher ist. In Uhrmacherkreisen herrscht ein Tabu über dem klassischen Gangregler, das besagt, dass dessen Parameter nicht abgeändert werden dürfen. Pierre Genequand konnte sich über diese Unantastbarkeit ganz einfach deshalb hinwegsetzen, weil er von dieser nichts wusste. Er rollte das Problem von der anderen Seite auf und wandte eine Raumfahrttechnik in der Uhrmacherei an, ohne auf irgendwelche Regeln Rücksicht nehmen zu müssen, gegen die er im Begriff war zu verstoßen. Doch ohne die Mitwirkung einer Uhrenmanufaktur wäre es wohl bei der Idee allein geblieben. Parmigiani Fleurier erkannte das ungeheure Potenzial dieser Erfindung und sah sich, zusammen mit der antreibenden Kraft des Kompetenzzentrums für Uhrmacherei Vaucher Manufacture Fleurier, auch in der Lage, diese umzusetzen und in der Form einer Uhr zum Leben zu erwecken.

Am SIHH 2016 präsentiert Parmigiani Fleurier seine Fortschritte bezüglich dieses spektakulären Projekts, das eine außerordentlich bereichernde Brücke zwischen Wissenschaft und Uhrmacherkunst schlägt.

FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG DES SENFINE-GANGREGLERS

GRUNDPRINZIPIEN DES UHRWERKKONZEPTS

Die Grundprinzipien der Erfindung von Pierre Genequand, die auf den Gangregler einer Uhr übertragen wurden, um eine Gangreserve von mehreren Wochen zu ermöglichen, sind:

  • Verwendung von elastischen Führungen und Konstruktionen mit praktisch vernachlässigbarer Reibung, wie sie in der Raumfahrttechnik zum Einsatz kommen, und dies bei sämtlichen Elementen des Gangreglers
  • Ausschließliche Verwendung von Silizium, aus dem jedes Element mit Toleranzen im Mikrobereich gefertigt wird und das hervorragende mechanische Eigenschaften in Bezug auf die Elastizität, Ermüdung, Dichte und den Reibungskoeffizient aufweist
  • Monolithischer Oszillator, der die Funktionen der Unruh und der Spiralfeder vereint, aber auch des Ankers, mit dem er verbunden ist
  • Hemmungsrad mit ständiger Berührung, vom Typ Grasshopper-Hemmung

DER SENFINE-OSZILLATOR

Der Senfine-Gangregler besteht aus elastisch konstruierten Führungen und schwingt mit einer Amplitude von 16 Grad. Diese geringe Amplitude ist der Kernpunkt der Erfindung, denn sie schränkt den Energieverlust durch Reibung stark ein, ganz im Gegensatz zu den 300 Graden, mit der die Unruh eines herkömmlichen Gangreglers dreht.

Der Anker des Senfine-Oszillators ist mit der Unruh verbunden. Die Unruh weist eine Kreisform auf, in deren Mitte sich zwei Blattfedern kreuzen, ohne sich dabei zu berühren. Wenn der Gangregler schwingt, übernehmen diese Blattfedern die Funktion einer Rückholfeder und ersetzen dadurch die Spiralfeder einer herkömmlichen Unruh.

Dank der monolithischen Bauweise aus Silizium, das heißt Unruh, Spiralfeder und Anker sind aus einem einzigen Stück gefertigt, erübrigen sich die Drehzapfen und -achsen eines herkömmlichen Gangreglers. Der Senfine-Gangregler ist „schwebend“ gelagert. Es schwingt durch den Impuls des Ankers um eine virtuelle Achse, ohne Reibungspunkte und mit einem fast vernachlässigbaren Reibungskoeffizient.

DIE GRASSHOPPER-HEMMUNG

Im herkömmlichen Uhrenbau überträgt die Hemmung die benötigte Energie vom Federhaus zum Oszillator. Als Herzstück des Uhrwerks ist sie zuständig für die Aufrechterhaltung und die Schwingungszahl des Regulierorgans. Für das Senfine-Uhrwerk wurde eine Hemmung entwickelt, die dessen besonderen Konstruktion Rechnung trägt: eine Grasshopper-Hemmung mit ständiger Berührung.

Bei diesem Prinzip interagieren die beiden elastischen Ankerpaletten mit der Hemmung, indem sie ihre Energie für die Verformung bei jedem Impuls durch die Hemmungszähne speichern und wieder abgeben. Die Beeinträchtigung durch Reibung ist dadurch geringer und der Energieverbrauch dieser Hemmung steht im Einklang mit jener des Senfine-Oszillators.

2008 BIS 2014

Die sechs Jahre der Forschung, die zum heutigen Entwicklungsstand des Senfine-Gangreglers geführt haben, waren voraussichtlich die schwierigsten. Der erste Schritt der Manufaktur Parmigiani Fleurier bestand darin, die Erfindung zu verstehen, das heißt sich den Inhalt zu eigen zu machen, sich mit jedem Detail zu befassen und die zugrunde liegende physikalische Theorie zu begreifen. Vor diesem Hintergrund haben sich die Uhrmacher weit in die Welt der Raumfahrttechnik vorgewagt und, sobald sie bereit waren, das Projekt Schritt für Schritt und mit allen Herausforderungen der Miniaturisierung und Montage zur greifbaren Realität eines Uhrenkopfes werden lassen. Insbesondere brachten sie auch die Anforderungen der Uhrmacherkunst ein und erkannten Punkte, welche die Theorie ins Wanken zu bringen drohten. So erfreuten sich die Ingenieure des CSEM zu Beginn des Projekts, dass ihr Prototyp einer Beschleunigung von 20G (was der Beschleunigung einer Rakete beim Start entspricht) widerstehen konnte. Doch bei normalen Tragebedingungen erfährt eine Armbanduhr Beschleunigungen zwischen 500 und 5000G, eine Größenordnung, den der CSEM beim Bau seines Modells nie in Betracht gezogen hatte. Die interessanten Herausforderungen, die sich aus diesem Austausch ergeben haben, wurden eine nach der anderen auf einer Gratwanderung zwischen Theorie und Praxis gemeistert und schließlich im Senfine-Uhrwerk konkret umgesetzt.

2014 präsentierte das Kompetenzzentrum für Uhrmacherei von Parmigiani Fleurier den 1:1-Prototypen des Gangreglers. Wird er in ein herkömmliches Kaliber integriert, erhöht er dessen Gangreserve auf 45 Tage, womit sein Potenzial aber noch lange nicht ausgeschöpft ist. Nach der fertigen Entwicklung wird die Gangreserve noch weitaus höher sein.

JAHR 2015

Aus Sicht der Forschung und Entwicklung war das Jahr 2015 der Reduzierung der Stoßempfindlichkeit des Senfine-Gangreglers gewidmet. Aufgrund dessen sehr geringen Amplitude (16 Grad) sowie der schwebenden, das heißt berührungslosen, Lagerung beeinflusste jeder noch so kleine Stoß den genauen Gang des Reglers.

In einem ersten Schritt wurden alle Stoßfaktoren empirisch erhoben. Oft besagte die Theorie, dass der Gangregler den Stoßwirkungen standhalten könne, was nachfolgende Simulationen bestätigten, die Praxis jedoch widerlegte. Zwischen dem virtuellen oder simulierten und dem tatsächlichen Tragen einer Uhr liegen Welten. Durch die Analyse aller Stoß- und Stillstandfaktoren erarbeiteten die Ingenieure Lösungen für die Stoßsicherung für jeden Faktor. Um diesen Erfolg zusätzlich zu festigen, legten die Uhrmacher die Frequenz des Uhrwerks auf 16 Hertz fest, was 115.200 Halbschwingungen pro Stunde entspricht. Diese spektakuläre Schwingfrequenz reduziert die Stoßwirkung auf den Gangregler und stellt dessen Gangstabilität sicher.

Das Jahr 2015 war außerdem der Regulierung der Hemmung gewidmet. In einem herkömmlichen Uhrwerk stellt die Regulierung der Hemmung eine Formalität dar, da sie eine in sich abgeschlossene und von den anderen unabhängige Baugruppe ist. Beim Senfine-Gangregler steht die Hemmung in permanentem Kontakt mit dem Anker, der wiederum zusammen mit dem Oszillator eine monolithische Bauweise aufweist. Für die Regulierung der Hemmung musste eine Vorrichtung erfunden werden, welche die Kalibrierung sämtlicher Elemente des Gangreglers aus einem Stück ermöglichte. Diese Entwicklung ist abgeschlossen und befindet sich in der Herstellungsphase.

JAHR 2016

Im Jahr 2016 werden die thermischen Anforderungen unter die Lupe genommen. Dabei geht es darum, dass das Senfine-Uhrwerk die COSC-Standards erfüllt, die einen konstanten Isochronismus bei jeder Innentemperatur des Uhrwerks zwischen 8 und 38 Grad erfordern. Silizium reagiert komplex auf Temperaturschwankungen. Eine Lösung wurde bereits in der Theorie validiert, deren praktische Umsetzung steht kurz bevor.

2016 werden auch die Fertigungsverfahren und das spezifische Werkzeug für den Senfine-Gangregler entwickelt. Über das eigentliche Senfine-System hinaus sind die Uhrmacher damit beschäftigt, das gesamte Produktumfeld zu schaffen. So müssen Geräte für die Regulierung erfunden werden, Messinstrumente existieren noch nicht. Wie kann nur schon der Gang ermittelt werden, wenn der Senfine-Gangregler kein „Ticktack“ von sich gibt? Es müssen ganz neue Wege eingeschlagen werden. Aber so groß die Herausforderung auch ist, sie steht im perfekten Einklang mit dem spannenden Abenteuer und vor allem auch mit der bevorstehenden Revolution der Uhrmacherei. Erst wenn alle Etappen abgeschlossen und alle externen Parameter bestimmt sind, wird die Manufaktur Parmigiani die endgültige Gangreserve des Senfine-Uhrwerks festlegen. Sie wird in Monaten gezählt werden und die mechanische Uhrmacherei für immer verändern.

Die Fortsetzung des Abenteuers von Parmigiani Fleurier und dessen Kompetenzzentrums für Uhrmacherei folgt in einem Jahr.

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