Wer war Ferdinand Adolph Lange?
Am 18. Februar 2015 jährt sich sein Geburtstag zum 200. Mal. Der begnadete Uhrmacher, dessen Taschenuhren noch heute sehr begehrt sind, widmete sein Leben dem Aufbau einer Uhrenmanufaktur in einer strukturschwachen Region und legte damit den Grundstein für die sächsische Feinuhrmacherei. Sein ganzes Streben sei auf die Vervollkommnung von Uhren gerichtet, schrieb Ferdinand Adolph Lange im Mai 1844 an das sächsische Innenministerium. Der Uhrmacher aus Dresden plante den Aufbau einer modernen Uhrenmanufaktur, wie er sie auf seinen Reisen in die Uhrmachermetropolen Frankreichs, Englands und der Schweiz kennengelernt hatte. Seine wichtigste Motivation dabei war es, einen Industriezweig zu schaffen, der „in der Folge Tausenden Nahrung und Wohlstand verspricht“. Denn Ferdinand Adolph Lange war nicht nur ein gebildeter Mensch, sondern auch ein tief religiöser und sozial denkender Mann. Die damals bittere Not im strukturschwachen Erzgebirge, derer die Landesregierung nicht Herr wurde, veranlasste ihn 1844 zum Handeln. In Briefen und Eingaben sowie in Gesprächen warb er so lange für sein Projekt, in Glashütte eine Uhrenfabrikation aufbauen zu können, bis ein Vertrag mit dem Königlich-Sächsischen Ministerium des Innern in Dresden zustande kam. Darin verpflichtete sich Lange, 15 Jugendliche aus Glashütte innerhalb von drei Jahren zu Uhrmachern auszubilden. Im Gegenzug sagte das Ministerium ein Darlehen von 6700 Talern zu, davon 1120 Taler zur Anschaffung von Werkzeugen für die Lehrlinge. Die Lehrlinge sollten danach fünf Jahre in Langes Betrieb arbeiten und in Wochenraten die Kosten ihrer Ausbildung zurückzahlen. Als künftige Uhrmacher traten „1 Malgehilfe, 12 Strohflechter, 4 Dienstburschen, 1 landwirtschaftlicher Gehilfe, 1 Steinbruch- und 1 Winzerarbeiter“ an, wie das erste Mitarbeiterverzeichnis ausweist. Einige der jungen Männer musste er nach kurzer Probezeit mangels Eignung zwar wieder gehen lassen, die anderen aber hielten durch und bildeten den Stamm seiner ersten Mannschaft, den er in kurzer Zeit auf 30 Berufsanfänger erweiterte. Am Anfang stand ihm –außer seinem späteren Schwager Adolf Schneider – kaum qualifiziertes Personal zur Verfügung.
Dem Sohn des Büchsenmachers Samuel Lange, der am 18. Februar 1815 in Dresden geboren wurde, lag seine Karriere nicht in der Wiege. Früh trennte sich die Mutter von dem als „Mann mit rauem Charakter“ beschriebenen Vater. Eine andere Familie nahm sich des intelligenten Jungen an, förderte ihn und brachte ihn als Lehrling beim renommierten Hofuhrmacher Johann Christian Friedrich Gutkaes unter.
Eine glückliche Entscheidung, wie sich bald zeigte. Denn dem Meister fiel nach kurzer Zeit nicht nur die überdurchschnittliche manuelle Geschicklichkeit, sondern auch der ungewöhnliche Ehrgeiz des Jungen auf, es weiter zu bringen als für einen Uhrmacher in Dresden damals üblich. Lange besuchte während seiner Lehre die gerade im Aufbau befindliche Polytechnische Schule und lernte in den Abendstunden Englisch und Französisch. Sein Plan stand früh fest, dass er nur in den damaligen Zentren der hochentwickelten Uhrmacherkunst – in Frankreich, der Schweiz und England – seine Kenntnisse erweitern werde. Denn die kreative Uhrmacherei, die im Zeitalter der Renaissance noch im deutschsprachigen Raum – in Nürnberg, Augsburg, Schaffhausen und Straßburg – ihren Platz hatte, war nach London und Paris abgewandert. Im Umfeld glanzvollen höfischen Lebens, aber
auch auf der Suche nach immer genaueren Zeitmessern für die militärische wie zivile Seefahrt, erfuhr die Uhrmacherei dort eine nachhaltige staatliche Förderung.
Ferdinand Adolph Lange packte 1837, drei Jahre nach seiner Dresdner Lehrzeit, sein Bündel, ließ sich von Meister Gutkaes eine Empfehlung in sein Skizzen- und Wanderbuch schreiben und trat in Paris in die Dienste des berühmten Chronometermachers Joseph Thaddäus Winnerl.
Dieser war einer der besten Schüler von Abraham Louis Breguet gewesen. Kurzum: Aus einem geplanten Studienaufenthalt wurden drei Jahre, in denen Lange bis zum Werkführer aufstieg. Schließlich musste er sogar die Bitte Winnerls ausschlagen, in dessen Betrieb zu bleiben, denn auf seinem Reiseplan standen noch England und die Schweiz.
In dieser Zeit füllte sich sein berühmtes Skizzen- und Wanderbuch mit Uhrwerks- und Detailzeichnungen und mathematisch fundierten Verhältnisberechnungen für Räder und Triebe. Ferdinand Adolph Lange war kein Freund des Prinzips von „trial and error“, von Probieren, Irren und Korrigieren, das damals in weiten Teilen noch die uhrmacherische Arbeit bestimmte und gleichbleibende, reproduzierbare Qualitäten unmöglich machte. Mit der festen Absicht, dies zu ändern, kehrte er in die Kunstuhrenfabrik von Gutkaes zurück, heiratete 1842 dessen Tochter Charlotte Amalie Antonia und wurde Teilhaber und uhrmacherischer Motor in der Werkstatt des Schwiegervaters. In dieser entstanden damals Präzisionsregulatoren für Sternwarten. Einer davon, er trägt die Nummer 32 und steht heute im Genfer Musée d’histoire des sciences, gab von einer Schweizer Sternwarte aus dem Uhrenland Schweiz rund 60 Jahre lang die genaue Zeit an. Neben seiner Entscheidung für das metrische System hatte Lange noch eine weitere entscheidende Erkenntnis von seiner Reise mitgebracht. Sie ist in einem Brief festgehalten, den er im Januar 1844 an den sächsischen Geheimen Regierungsrat von Weißenbach schrieb, um erstmals für sein Glashütter Projekt um Unterstützung zu werben: „Mit der gefälligen Form der Schweizer Zylinderuhr vereinige ich die große Dauer und die längst erkannte Genauigkeit der sehr teuren, aber dabei unbequemen englischen Ankeruhr.“ Der legendäre Glashütter Ankergang sollte einmal sein Markenzeichen werden. Und hier wurde auch sein künftiges Arbeitsprinzip deutlich: Er war stets ein Verbesserer und Perfektionist. Sein Skizzen- und Wanderbuch gibt davon Zeugnis.
Ferdinand Adolph Lange selbst schrieb 1851 über seine bisherigen Leistungen an die Landesregierung: „Mein erster und entscheidender Schritt war ein Maß zu konstruieren, um mit größter Genauigkeit jedwedes berechnete Verhältnis im kleinsten Maßstab auszuführen. Ihm folgten meine Arbeiten über die Verhältnisse der Triebe und Stücke und der betreffenden Maschinen, ich stellte endlich die Grundsätze fest, die dem Standpunkt der Wissenschaft entsprechend bei dem Bau der Uhren und der Konstruktion der Hemmungen zu befolgen sind, und brachte Ordnung und einen sicheren Gang, wo bisher oft nur Willkür, Vorurteil und Widerspruch geherrscht hatten. Das sind die Früchte von zwanzig Jahren angestrengten Denkens und Arbeitens, ein Teil deren hat praktische Anwendung in unserer Fabrik gefunden und macht, dass unsere Uhren gut sind, viel aber, wozu es nun Zeit wäre, ist noch unausgeführt.“
Glashütte, das verarmte Erzgebirgsstädtchen, das 1845 seine frühere Blüte als Bergwerksort aufgrund der silberhaltigen „Glaserz“-Funde längst hinter sich hatte, war lediglich durch die einmal wöchentlich verkehrende Postkutsche und eine kaum befahrbare Straße mit der Welt verbunden. Wenn der des Lesens unkundige Kutscher kam, leerte er den Sack aus und jeder konnte sich seine Post heraussuchen. Gänsetümpel und Misthaufen prägten das Ortsbild. Lange richtete hier eine Werkstatt ein, unterwies seine Lehrlinge, baute eine erste Produktion auf, konstruierte gleichzeitig bessere Maschinen für die präzise Teilefertigung, führte die Korrespondenz und erledigte die
Buchhaltung. Seine Tochter Emma berichtete von gelegentlichen Zusammenbrüchen des bis spät nachts arbeitenden Mannes, der sein ganzes Vermögen, das seiner Frau und sogar Preisgelder für uhrmacherische Auszeichnungen in den immer wieder bedrohten Anfang steckte.
Doch sein weitsichtiges Konzept nahm Gestalt an: Neben seiner eigenen Firma wuchsen in Glashütte, dessen Infrastruktur er auch als Bürgermeister 18 Jahre lang entscheidend verbesserte, viele kleine Spezialwerkstätten für Steine-, Schrauben-, Räder-, Federhaus-, Unruh- oder Zeigerherstellung. Gehäusemacher, Vergolder, Guillocheure und drei weitere Manufakturen, die ihm teilweise zuarbeiteten, entstanden mit seiner Förderung, oft gegründet von Leuten, die zuvor durch seine Ausbildung gegangen waren. Hunderte von sicheren und gut bezahlten Arbeitsplätzen wandelten die Not bald in bescheidenen Wohlstand. Langes Betrieb, dessen Belegschaft selten 100 Beschäftigte überstieg, blieb der Nukleus der deutschen Feinuhrmacherei, die in und um Glashütte aufwuchs. Mit der von seinem Freund Karl Moritz Großmann 1878 initiierten „Deutschen Uhrmacherschule“ (DUS) nabelte sich Glashütte sowohl in der praktischen wie auch in der theoretischen Ausbildung seines Nachwuchses völlig von der Schweiz und von Frankreich ab und festigte seinen Ruf als deutsches Zentrum der Feinuhrmacherei. Als Ferdinand Adolph Lange am 3. Dezember 1875 mit nur 60 Jahren überraschend starb, hinterließ er seinen Söhnen und Enkeln nicht nur einen florierenden Betrieb und
eine stolze Reihe internationaler Auszeichnungen, sondern der Region Glashütte eine sichere wirtschaftliche Zukunftsperspektive. Die Stadt hat ihm dafür 1895 ein Denkmal gesetzt. Ferdinand Adolph Lange hat die Feinuhrmacherei nach Deutschland zurückgeholt und grundlegend reformiert. Seine Konstruktionen mit erstmals exakt berechneten Laufwerksteilen, einem neuen Gestellaufbau mit Dreiviertelplatine, der speziellen Glashütter Ankerhemmung und Kompensationsunruh, Feinreguliereinrichtungen oder Spiralen mit speziellen Endkurven repräsentieren den höchsten Standard der Uhrenfertigung.
Die Präzisionsuhren von A. Lange & Söhne erzielen heute bei Auktionen Höchstpreise, darunter Stücke von größter Kompliziertheit. Sie bewahren für den Liebhaber der mechanischen Zeitmessung die Philosophie eines Mannes, der Uhrengeschichte, aber auch ein Stück sächsische Geschichte mitgeschrieben hat. Die neuen Uhren mit dem Signet „A. Lange & Söhne“ aus Glashütte tragen diesen hohen Anspruch in die Zukunft weiter.
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