Das Herz einer Uhr


Das Herz einer Uhr

Mechanische Uhren leben. In ihnen drehen sich Zahnräder und man hört die Uhr ticken. Diese anachronistische Art und Weise der Zeitanzeige in einer schnelllebigen und rastloseren Umwelt, in der Computer mehr und mehr auch diese Aufgabe übernehmen (siehe die IWatch), finde ich herrlich. Gute mechanische Uhren werden von Menschen für Menschen zum großen Teil noch von Hand gemacht. Man kann ihre Funktionsweise verstehen und diese fasziniert, z.B. durch einen Glasboden einer Uhr, beobachten.

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Eine der entscheidenden Baugruppen einer mechanischen (Armband-)Uhr ist die Hemmungsbaugruppe.

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Zu dieser zählt man den Anker, das Ankerrad sowie die Hebelscheibe und, im weiteren Sinne, die zu dieser Baugruppe gehörenden anderen Bauteile wie Brücken und Schrauben.

Diese Baugruppe ist quasi Teil des Herzens einer mechanischen Uhr. Über sie wird die Energie des Federhauses so portioniert, dass nach einer Kaskade an Rädern die Zeit über die Zeiger auf dem Zifferblatt einer Uhr abzulesen ist. Weitere wichtige und höchst diffizile Bauteile im Herz der Uhr sind die Spirale und die Unruh, um die es in diesem Beitrag speziell gehen soll.

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Eine Armbanduhr funktioniert täglich unter sehr schweren Bedingungen. Ihr Gangverhalten wird durch Lagenveränderung, schwankende Temperaturen, Magnetismus, Staub, unregelmäßiges Aufziehen und somit unregelmäßige Energie der Feder im Federhaus und den Zustand der Öle in den Lagern nachteilig beeinflusst. Trotz allem zählt eine Uhr pro Tag 86.400 Sekunden. Und wenn sie auch in ihrer Präzision etwas schwankt, so ist sie für ein mikromechanisches Konstrukt immer noch beeindruckend präzise! Weicht eine mechanische Uhr nur eine Sekunde pro Tag ab, so hat sie eine Gangabweichung von 0,001 Prozent! So gesehen geht die mechanische Uhr also doch enorm genau.

Um die beeindruckenden Leistungen einer mechanischen Armbanduhr zu verdeutlichen sei eine Frage erlaubt: Welches Rad dreht sich schneller?UnbenanntDas Triebrad einer Lokomotive oder die Unruh einer Armbanduhr?Rolex_parachrom_hairspring_Parachrom-Breguetspirale[1]Die Art der Fragestellung lässt die Antwort sicher erahnen. Die Triebräder einer Lokomotive, die mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h fährt, drehen sich nur halb so schnell wie die Unruh einer Uhr mit 36 000 Halbschwingungen (abgekürzt: A/h oder 1/h). Es klingt fast unglaublich, aber die Uhr leistet noch mehr: sie versieht ihre Tätigkeit nicht nur einige wenige Stunden (wie z.B. die Lokomotive), sondern dauerhaft volle 24 Stunden am Tag.

Nun kennen Sie die Maschine, die eine höhere Leistung vollbringt als die meisten anderen, von Menschenhand erdachten Maschinen! Ihre eigene mechanische Uhr. Die Unruh einer Uhr, angetrieben durch die Feder des Federhauses mit einer Kraft, die einem Hundert-Millionstel eines PS entspricht, vollführt täglich mindestens 432.000 Halbschwingungen (bei 18.000 A/h). Denkt man sich einen Punkt auf die Peripherie dieser Unruh, so legt dieser dabei täglich 20 km zurück. In etwas mehr als fünf Jahren sind dies ca. 40.000 km. Das entspricht dem Umfang unserer Erde.Unbenannt1Ein Uhrwerk ist damit eine der leistungsfähigsten und langlebigsten Maschinen der Welt!

Noch ein anderer Vergleich sei erlaubt: wenn sich das Rad eines Automobils 120 Millionen Mal gedreht hat, dann hat es ca. 250.000 km zurückgelegt. Die Unruh eines schnellschwingenden Uhrwerkes (z.B. eines Zenith EI Primero) macht pro Jahr 315.360.000 Halbschwingungen. Nach zehn Jahren sind es 3.153.600.000 Halbschwingungen. Und Ihre Uhr wird dann immer noch funktionieren. All das dürfte anschaulich erklären, warum ein mechanisches Uhrwerk in gewissen Intervallen eine Inspektion benötigt. Etwas, das wir Menschen bei einem Automobil jedes Jahr klaglos akzeptieren sobald die Inspektionsleuchte es anzeigt, bei einer guten mechanischen Uhr jedoch oft die vermeintlich hohem Preise einer Revision kritisieren.prices_servicing_sia[1]Stellt man den Aufwand und die Dauer einer Inspektion eines Automobils (wenige Stunden) mit der Revision einer guten Uhr (mehrere Tage) in Relation, dann erkennt man schnell, dass der Preis für eine Revision durchaus gerechtfertigt wird. Zudem bekommt man eine Uhr dann wirklich optisch und technische neuwertig zurück. Bei einem Automobil ist das nicht der Fall. Die enorme Arbeitsleistung einer mechanischen Armbanduhr sollte eigentlich alle diesbezüglichen Fragen beantworten, aber das ist ein anderes Thema, mit dem ich mich in einem separaten Artikel beschäftigen werde.Moser-Hemmung-frei-01[1]Die Spirale bildet einen der wichtigsten Bestandteile der Uhr. Sie sitzt auf der Unruh. Die Herstellung dieser winzigen Spiralen ist, wie weiter unten dargestellt, sehr kompliziert. Spiralfedern für kleine Uhren wiegen als 0.01mm dicker Draht nur zwei tausendstel Gramm. Anders ausgedrückt: man kann also 2000 Spiralfeder aus einem Gramm Legierung herstellen.740.8-Venturer_Small_Second[1]Die Unruh einer Uhr vollführt also Halbschwingungen. Eine Halbschwingung ist eine Bewegung der Spirale, die durch zwei Endstellungen begrenzt wird. Bei mechanischen Uhren wird also traditionell anstelle der Schwingfrequenz (gemessen in Hertz) meist die Zahl der Halbschwingungen pro Stunde angegeben. Die Unruh einer mechanischen Uhr mit 28.800 A/h in der Stunde vollführt z.B. acht Halbschwingungen pro Sekunde. Die Frequenz hingegen beschreibt die Zahl der Vollschwingungen der Unruh pro Sekunde. Im genannten Beispiel wären das also 4 Hz pro Sekunde. Die Anzahl der Halbschwingungen der Unruh wird durch den Durchmesser und das Gewicht der Unruh, sowie durch die Eigenschaften der Spirale bestimmt. Gängige Schwingungsfrequenzen von Hemmungen in mechanischen Armbanduhren sind:

18.000 A/h = 2,50 Hz

21.600 A/h = 3,00 Hz

28.800 A/h = 4,00 Hz

36.000 A/h = 5,00 Hz

Unruh und Spirale haben den entscheidenden Einfluss auf den Gang, sprich auf die Ganggenauigkeit einer Uhr, denn exakt diese Teile Portionieren die Energie über ihre Funktion. Tun sie dies höchst präzise und gleichmäßig sowie möglichst wenig durch schwankende Temperaturen oder z.B. Magnetismus beeinflussbar, so ist auch die Zeitanzeige der mechanischen Uhr auf Dauer präzise. Dieser Umstand macht diese Bauteile zum wichtigen, wenn nicht gar wichtigsten Qualitätskriterium für eine Uhr.

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Derart wichtig, dass die besten Uhrenhersteller ihre eigenen Spiralen und Unruhen herstellen. Es handelt sich um Bauteile in einer Uhr, die nur mit großem Erfahrungsschatz und sehr aufwändig hergestellt werden können. Daher schaffen es auch nur die besten Uhrenmarken, eigene Spiralen und die dazu perfekt passenden Unruhen zu bauen. Oder anders ausgedrückt: eben jene Uhrenmarken, denen dieser Aufwand wert ist betrieben zu werden, machen es auch. Alle anderen kaufen die Teile einfach zu.

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Für mich ist der Umstand, ob eine Top-Uhrenmarke in der Lage ist eigene Spiralen und Unruhen zu fertigen, eine wichtige Messgröße der Kompetenz und auch ein wesentliches Kriterium, wenn es um echte Uhrenmanufakturen geht. Denn wer Spiralen selber fertigen kann, der besitzt auch die Kompetenz, alle anderen wesentlichen Teile der Uhr zu fertigen. Und solche ehrlichen Manufakturen sind auch in der Lage, konsequent z.B. eigene Werke ohne Kompromisse zu konstruieren. Marken wie Patek Philippe, Rolex, A. Lange & Söhne, Parmigiani Fleurier oder H. Moser & Cie. gehören dazu. Und am Beispiel von H. Moser & Cie. möchte ich erklären, warum es gerade auf diesen Bauteile beim Bau einer qualitativ hochwertigen mechanischen Uhr ankommt.

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Auf den ersten Blick wirkt eine Spirale sehr einfach. Wo steckt da die Technologie? Überall!

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Im Material, genauer: der perfekten Legierung, in der Dimension der Spirale, in der Qualität der Fertigung hinsichtlich der Toleranzen und in der perfekten Abstimmung von Spirale und Unruh und dieser Bauteile im gesamten Uhrwerk.

Die Herstellung von Spiralen ist eine echte Wissenschaft, und es wird immer noch geforscht und weiterentwickelt.

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Aus einem massiven Block der Legierung, in diesem Fall Mosers P3000, mit zwei Metern Länge wird im ersten Schritt ein Draht mit 13 Kilometern Länge gewalzt.

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Diese Legierung muss ein extrem gleichmäßiges Kristallgitter aufweisen, wie es nur beim Guss einer größeren Menge Material entsteht. Der entstandene gezogene Draht ist nun knapp unter einem Millimeter stark und hat einen runden Querschnitt.

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Im nächsten Schritt wird dieser Draht in mehreren Schritten auf seine endgültige Dimension gezogen.

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Am Ende hat der Draht einen rechteckigen, absolut gleichmäßigen Querschnitt und ist in etwa so dick wie ein menschliches Haar (im folgenden Bild links).

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Nun wird der noch plastisch verformbare Draht auf Länge geschnitten und vier dieser abgelängten Drähte gleichzeitig gewickelt.

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Nach dem Wickeln hat man also vier ineinander gewickelte Spiralen, die nun in einem Hightech-Vakuumofen mit einer ausgeklügelten Temperaturführung gebacken werden.

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Nach dem Backen sind die Spiralen elastisch verformbar, also umgangssprachlich eine Feder. Daher auch der englische Begriff „Hairspring“. Beim Backen und beim Handling dürfen die Spiralen nicht verformt werden. Nun werden die vier ineinander verwickelten Spiralen vorsichtig voneinander getrennt. Die nun vorliegenden vier Rohspiralen können nun weiter verarbeitet werden. Nach der Montage eines Spiralklötzchens wird eine jede Spirale einzeln von Hand ausgewuchtet, auf die exakte Länge geschnitten und die Breguet-Endkurve von Hand gebogen.

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Begleitet wird all das von ständigen und fortlaufenden Qualitätskontrollen. Moser ist so in der Lage, zwanzig verschiedene Spiralen und Qualitäten zu fertigen.

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Die Spiralen von H. Moser & Cie. basieren auf einen Patent von Prof. Dr. h.c. Reinhard Straumann aus dem Jahr 1931.

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Prof. Straumann entwickelte seinerzeit eine revolutionäre Legierung für selbstkompensierende Spiralfedern vom Typ Nivarox.

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Nivarox ist eine Metalllegierung, welche hauptsächlich in der Uhrenindustrie verwendet wird und die aus Nickel, Chrom, Mangan, Titan, Beryllium, Silicium und Eisen besteht. Sie besitzt Eigenschaften, welche bei der Herstellung von Unruhspiralen und Antriebsfedern von Vorteil sind. Federn aus Nivarox sind ermüdungsarm, nahezu antimagnetisch, nicht rostend und haben einen sehr geringen Wärmeausdehnungskoeffizienten. Nivarox macht das Gangverhalten mechanischer Uhren stabil und nahezu temperaturneutral. Durch diese besonderen Eigenschaften konnte die zuvor verwendete aufwändige und teure Kompensationsunruh ersetzt werden. Unruhspiralen aus Nivarox werden heute weltweit von fast allen Herstellern mechanischer Uhren in verschiedenen Qualitätsstufen verwendet. Und H. Moser & Cie. hat eine ganz spezielle Verbindung zu Prof. Dr. h.c. Reinhard Straumann. Sein Urenkel, Dr. h.c. Thomas Straumann, war neben Dr. Jürgen Lange und Roger Nicholas Balsiger, einem Urenkel Heinrich Mosers, einer der Initiatoren der Wiedergeburt der Marke H. Moser & Cie. im Jahr 2002.

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Somit übernahm Moser auch die Aktivitäten der bisherigen Straumann SA im Uhrenbereich. Dadurch konnte das Know-how von Straumann in diesem Bereich erhalten und sogar weiter ausgebaut und die Technologien konsequent weiterentwickelt werden. Moser und das Tochterunternehmen „Precision Engineering“ sind also weltweit absolute Kompetenzträger in diesem Bereich, bei dem viele renommierte Uhrenmarken Spiralen, Unruhen oder sogar komplett maßgefertigte Baugruppen für die eigenen Uhren kaufen.

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Die Tücke steckt bei den Spiralen, wie so oft, im Detail. Neben Faktoren wie der Legierungsart und der Dimensionierung der Spirale spielt z.B. auch die Form der Spirale, genauer: der Endkurve eine Rolle.

Die einfachsten Spiralen, die vor Abraham Louis Breguet´s Entwicklung einer Speziellen Endkurve gab, hatten eine flache Endkurve.

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Das Problem bei diesen Spiralen ist, dass das Massezentrum sich bei der Schwingung der Spirale, die Uhrmacher nennen es auch „Atmen“, nicht in der Mitte der Spirale befindet. Daher schwingt die Spirale nicht konzentrisch, was sich wiederum auf die Gleichmäßigkeit der Schwingung und damit auch auf die Präzision der Uhr negativ auswirkt.

Die folgende Abbildung zeigt die Verlagerung des Massezentrums bei einer Spriale mit flacher Endkurve im Vergleich zu einer Spirale mit Breguet-Endkurve sowie zu einer Doppelspirale, wie sie Moser in einigen Uhren verwendet.

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Eines der Verdienste von Abraham Louis Breguet war die Entwicklung der Breguet-Endkurve, wie sie im folgenden Bild dargestellt ist. Bereits um 1795 führte Breguet diese Modifikation in seinen Uhren ein.

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Diese spezielle, stets von Hand gebogene Form der Endkurve verhindert eine übermäßige Veränderung des Masseschwerpunktes der Spirale aus dem Zentrum heraus, sprich: sie führt zu einer gleichmäßigeren Schwingung der Spirale. Ergebnis: die Uhr läuft präziser. Solche Spiralen sind sehr aufwändig in der Fertigung, vor allem das Biegen von Hand erfordert sehr viel Erfahrung und handwerkliches Können.

Moser steigerte die Präzision noch, indem man zwei Spiralen mit einer Unruh verbunden hat, die sog. Double Hairspring.

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Im weiter oben gezeigten Diagramm ist zu erkennen, dass die Änderung des Massezentrums bei der Doppelten Straumann-Spirale nahezu null ist. Dies erklärt auch die enorme Präzision der Double Hairspring.

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Besonders kompliziert ist die Auswahl der beiden Spiralen, denn man kann nicht einfach zwei beliebige Spiralen kombinieren. Diese beiden Spiralen müssen fein aufeinander abgestimmt sein. Auch diese Abstimmung kann nur ein Mensch vornehmen.

Das Modell „Henry“ war im Jahr … die erste Moser-Uhr mit einer Double Hairspring.

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Aktuell findet man z.B. im Endeavour Tourbillon von H. Moser & Cie. eine Doppelspirale.

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Man erkennt also, dass es die kleinen, aber feinen Details sind, die den Unterschied machen. Ein zweiter Blick auf die Uhrenmarken, abseits des bunten und lauten Marketings, lohnt also, wenn man sich für die inneren Werte einer Uhr interessiert!

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Kategorien:H. Moser & Cie., Qualität und HandwerkSchlagwörter:, , , ,

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